Federreisen – Ergebnisse Runde 10
„Aber gerade, indem sie darauf küßte, öffnete die Blume sich mit einem Knall. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte; aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Samengriffel ein ganz kleines Mädchen, so fein und niedlich! Sie war kaum einen halben Daumen hoch, und deshalb wurde sie Däumelinchen genannt.“ (Hans Christian Andersen „Däumelinchen“, 1862)
In Irland sind die Little People, die Feen, Elfen, Kobolde und Naturgeister, seit Jahrhunderten mehr als nur eine Legende, sie sind fester Bestandteil der Kultur. Eine Kultur, die es spätestens seit Disney‘s Tinker Bell zur Weltberühmtheit geschafft hat. Oder denken wir nur an die Graugnome in Ronja Räubertochter. Und passend zur Jahreszeit: geschäftige Weihnachtswichtel auf leisen Sohlen… Egal, wie wir sie nennen, Sylphe, Irrlichter, Heinzelmännchen, Hauselfen oder Schneewittchens sieben Zwerge. Sie sind vielleicht klein, aber sie sind überall. Jetzt auch am Wiggy, wie eindeutige Beweisfotos zeigen.
Schön und gut, Däumelinchen ist aus einer Tulpe geschlüpft. Das macht Sinn. Aber nicht für das Wiggy. Die kleinen Eindringlinge an unserer Schule bleiben das große Rätsel dieser Adventszeit: Sind sie eine mysteriöse Corona-Begleiterscheinung, wie böse Zungen behaupten? Oder sind sie möglicherweise dem neuen Schulleiter in die heiligen Hallen gefolgt? Vielleicht sind sie nicht mehr als eine Sinnestäuschung. Ganz gleich, sie sind da und treiben ihr Unwesen.
Solch ein Geheimnis lockt natürlich auch neugierige Federreisende auf seine Fährte. Daher sind sämtliche Federabenteurer in diesem Monat eingeladen, mithilfe eines der Fotos das große Rätsel zu lösen, wie unserer winziger Neuzuwachs ein Schlupfloch ins Wiggy gefunden hat und was sie da eigentlich treiben.
Wir sind mehr als gespannt und freuen uns auf die detektivische Spitzfindigkeit der Forscher moderner Legenden!
Teilnahme: Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen
Abgabe: bis Sonntag, den 05. Januar 2022 (bis hierhin sollten die guten Vorsätze reichen) an: leni.rothe@wirtemberg-gymnasium.de oder beate.heeger@wirtemberg-gymnasium.de
Viel Spaß beim Schreiben!
Eure federführenden Reiseleiterinnen Leni Rothe, Beate Heeger und Britta Franke
Und hier kommen die Texte:
Däumelinchen und Co – Ergebnisse der Fantastischen Federreisen 10
Dass sie da sind, das wissen wir, seit die ersten Beweisbilder ins Blitzlicht der Öffentlichkeit gerieten: unsere neusten Schulbewohner im Miniaturformat. Nun ist es endlich soweit, dass unsere mutigen Federreisenden die ersten Geheimnisse lüften konnten. Indem sie die winzigste Fährte aufgenommen haben, um große Geschichten zu schreiben.
Helene Kratzer Klasse 5a – Und wenn doch?
Lina schritt mit schlechtem Gewissen den Flur ihrer Schule entlang. Sie hatte am Ende des gestrigen Schultages vergessen, die Tafel zu putzen. Das gab jetzt bestimmt Ärger, denn ihre Lehrerin Frau Sauberschön nahm das außerordentlich ernst mit dem Ordnungsdienst. Eine saubere Tafel machte sie glücklich. Eine schmutzige Tafel machte sie unglücklich und boshaft. Nun stand Lina schon vor der Tür ihres Klassenzimmers. Sie zögerte. Aber es half ja alles nichts. Die Schulglocke bimmelte. Lina drückte die Türklinke hinunter, machte einen Schritt über die Schwelle, sah, dass ihre Lehrerin schon am Pult saß, und machte sich schon auf ein Donnerwetter gefasst. Aber die Tafel war blitzblank geputzt!
„Habt ihr die Tafel sauber gemacht?“, fragte sie flüsternd ihre Nebensitzer.
„Das könnte dir so passen“, grinsten die. „Nee, die war schon sauber, als wir reinkamen.“
Die Stunde plätscherte so dahin. Plötzlich klopfte es. Es war der gutaussehende neue Deutschlehrer Herr Göde.
„Guten Morgen, liebe Kollegin“, flötete er. „Ich bringe Ihnen einen Kaffee!“
Frau Sauberschön schoss die Röte ins Gesicht, als sie die Tasse mit dem dampfenden Getränk entgegennahm.
„Ich glaub, die ist in den verknallt“, tuschelte Linas Nebensitzer.
Plötzlich bimmelte es zur Pause. Lina starrte erstaunt auf ihre Armbanduhr. Es waren eigentlich noch 20 Minuten bis zum Unterrichtsschluss. Die Kinder rannten schnell in die Pause, ehe jemand den Fehler bemerkte. Auf dem Pausenhof waren alle aufgeregt. Überall hatten sich seltsame Dinge ereignet. In der 5a hatten alle – wirklich alle! – Schüler eine Eins im Diktat geschrieben. Den Lümmeln aus einer der 7ten hatte irgendwer den Mund mit Pattex zugeklebt, so dass sie die ganze Stunde lang keinen Quatsch hatten hereinrufen können. Dem glatzköpfigen Lateinlehrer Pommelke war mitten im Unterricht eine lange Heavy Metal-Frisur gewachsen. Und auf dem Sekretariat waren alle Telefone verstummt.
Lina musste aufs Klo. Sie hatte die Toilette noch kaum betreten, da hörte sie in einer der Kabinen seltsame Geräusche. Ein Rascheln. Und Wispern. Sie öffnete vorsichtig die Tür. Was war denn das? Da waren mehrere kleine Gestalten fleißig damit beschäftigt, zu putzen und zu schrubben. Ein zwergenhafter Bauarbeiter mit blauer Latzhose und gelbem Helm gab flüsternd Anweisungen.
„Was tut ihr da?“, stieß Lina verblüfft hervor.
„Wir arbeiten!“, entgegnete der kleine Bauarbeiter, als sei das das Normalste auf der Welt.
„Wir haben schon Fenster repariert“, sagte einer.
„Wacklige Steckdosen festgeschraubt“, ergänzte ein klitzekleines Mädchen.
„Den Müll ordentlich sortiert“, rief ein anderer dazwischen.
„Und jetzt beseitigen wir hier diese Klosprüche!“, sagte wieder das erste Männchen.
Es zeigte auf die Wand. Da stand in krakeliger Schrift: Herr Göde ist voll öde! Und: Frau Sauberschön muss auch mal auf Toilette göhn!
„Das ist ja schön und gut“, entgegnete Lina. „Aber wer seid ihr?“
„Wir“, entgegnete das Mädchen stolz, „sind der verborgene Wunsch des Hausmeisters!“
Ein ziemlich dummes „Hä?“ war alles, was Lina herausbrachte.
„Ganz einfach“, erklärte ein kleiner dicker Herr, „Heute Morgen ist mal wieder ein Experiment vom Chemielehrer Herr Knallauffall schiefgegangen. Es hat ordentlich gekracht, geraucht und gestunken. Ohne es zu merken hat er eine komplizierte chemische Reaktion ausgelöst. Und dadurch wurden die geheimen Wünsche der Lehrer, Sekretärinnen und Hausmeister wahr! Und der Hausmeister wünscht sich eben schon lange ein paar Heinzelmännchen.“
„Und das sind wir“, sagte der Bauarbeiter.
„Andere haben sich anderes gewünscht“, sagte das Mädchen.
„Einige echt verrückte Sachen“, lachte der dicke Herr.
Lina schwirrte der Kopf. Geheime Wünsche. Kleine Helferlein. Heavy Metal-Frisuren. Lauter Einsen. Dampfender Kaffee. Ihr wurde ganz schummrig. Dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Jemand rüttelte an ihr. Sie schlug die Augen auf. Und starrte ins Gesicht von Herrn
Knallauffall.
„Lina“, rief er. „Was bin ich froh, dass du wieder zu dir kommst.“
„Was…ist…geschehen?“, stammelte das Mädchen. Lina lag auf dem Boden des Chemieraumes.
„Mein Experiment in unserm Unterricht ist schiefgelaufen. Es hat ordentlich gekracht, geraucht und gestunken. Dir wurde schlecht von den Gasen und du bist mir vom Stuhl gekippt!“
„Und die Wünsche? Die Heinzelmännchen?“, fragte Lina benommen.
„Wünsche? Heinzelmännchen? Das musst du dir eingebildet haben. Du hattest einen seltsamen Traum wegen der Gase, die du eingeatmet hast“, erklärte Herr Knallauffall. „Es ist nicht wirklich passiert.“
„Und wenn doch?“, dachte Lina und stand auf.
Julius Del Toro Reuter, 8c – Das Hutzelmännchen
Festliche Weihnachtsstimmung konnte trotz des geschmückten Klassenzimmers in diesen Tagen im Schüleralltag kaum aufkommen: Wir befanden uns im Marathon der unzähligen Klassenarbeiten.
Ein kleines gelbes Büchlein eines Verlages, der seit Generationen die Schüler begleitet, lag vor mir auf dem Tisch. Es war Freitagnachmittag: Nachschreibetermin über „Kleider machen Leute“ von Keller.
Im Werk geht es um einen Schneider, der wegen seiner prächtigen Kleider, in einem ihm fremden Dorf, für einen Grafen gehalten wird. Er macht das Spiel mit, lediglich der Buchhalter namens Böhni hat Zweifel und kommt ihm auf die Schliche. Diesen galt es zu charakterisieren.
Ich nahm das Büchlein und las nochmal die Stelle, wo der Buchhalter dem falschen Grafen Geld für ein Glückspiel zuschob, da sprang doch plötzlich ein kleines Wichtelmännlein auf die Buchseite und verkleckste die Stelle mit meinem Füller.
Ich schaute verdutzt auf und erblickte diesen kleinen, ungehobelten Wicht mit seinem zotteligen Haar. Er war gerade mal von der Größe meines Zeigefingers und strich hier voller Tatendrang eine Textpassage nach der anderen durch. Ich traute meinen Augen kaum. Frech schaute er mich an und sprach auf breitem Schwäbisch, dass ich dies nicht lesen müsse. „Doch muss ich“, entgegnete ich verdutzt. „ I mach des für di, denn woher sollsch du des wisse“, sagte er.
Er sprang aufs Arbeitsblatt und begann mit meinem Füller meine Arbeit zu schreiben. Dabei kleckste er ganz fürchterlich und war bei der Rechtschreibung noch kreativer als ich.
Ich stütze mit meinem Arm meinen Kopf ab, dabei lag meine Stirn in meiner linken Hand.
Da grinste mich das Männlein an und sprach: „I ben des Stuttgarter Hutzelmännle.“
Er schrieb und schrieb, kleckste zwischendurch mal wieder und ich beschloss ihn einfach machen zu lassen.
Da fuhr er fort: „Lass es dir gesagt sein, kein Buchhalter dieser Welt hat jemals etwas verschenkt. Böhni war ein hinterhältiger Geizkragen und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann wäre dieses arme Schneiderlein schon viel früher aufgeflogen. Ich, das Hutzelmännchen, habe ihm geholfen und ihn beim Glückspiel zu Geld kommen lassen.
Dem Schneiderlein war nicht zu helfen und die Dinge nahmen ihren Lauf.
Heute wäre das alles nicht mehr so tragisch: Es gibt den Kaiser des Fußballs, den King of Pop, sogar den Burger King… Wieso denn nicht den Grafen des Schneiderhandwerks? Nun ja. Ich habe dann beschlossen, einem armen Schuster zu helfen, dem Seppe. Auch er war auf Wanderschaft. Ich half ihm aus mit Zauberschuhen. Ein Paar sollte er tragen, das andere in Stuttgart stehen lassen, aber er vertauschte die Schuhe. Dieser Tollpatsch bescherte uns vielleicht lustige Momente!“ Er schüttelte den Kopf und lachte, schrieb und schrieb, bis es klingelte.
Kaum hatte er das letzte Wort geschrieben, so löste er sich in Luft auf und mein Füller fiel dabei aufs Blatt und hinterließ einen weiteren richtig großen Klecks.
Endlich Wochenende, Vorweihnachtstimmung und die Frage, was mich in der Schule erwarten wird: Immerzu fiel mein Blick im Klassenzimmer auf unseren Adventskalender und bald war ich an der Reihe.
In der kommenden Woche durfte ich nun meinen Kalender öffnen. Es war ein fantasisches Geschenk: Eine Toilettenpapierrolle mit Sodoku und ein kleines, gelbes Heftchen mit ein paar Tintenklecksen. Darauf stand: „Das Hutzelmännchen“ von Mörike.
Ich öffnete es und auf der ersten Seite stand geschrieben: „Unterschätze niemals die Kleinen.“ Das klang auch für mich wirklich gut.
Marlene Hetzel, 6a – Das Corona-Helferchen in der Steckdose
- Mai 2021. Ich bin in der Notbetreuung wie jeden Tag. Zwei Stunden Mathe, zwei Stunden BNT, zwei Stunden Religion. Nach Mathe wurde mir langsam echt heiß. Ich lieh mir den Schlüssel von irgendeinem Lehrer, den ich nicht kannte. Gerade wollte ich den Schlüssel in das Schloss stecken, da hinderte mich ein kleines Männchen daran.
„He, Marlene, was machst du da?“, fragte mich das Männchen.
„Ich möchte den Rollladen herunter machen, weil mir heiß ist“, antwortete ich. „Wer bist du überhaupt?“
„Ich bin Ringfingerlinchen, der Bruder von Däumelinchen, falls dir das etwas sagt.“
„Ha, ha, Däumelinchen ist doch nur eine alte Geschichte. Willst du mich auf den Arm nehmen? Woher kennst du überhaupt meinen Namen?“
Da lachte das Männchen. „Auf den Arm nehmen? Wie bitte soll ich dich auch nur einen Millimeter in die Luft bekommen? Ich bin doch nicht mal so groß wie ein Ringfinger! Und ich kenne deinen Namen, weil ich jeden Tag hier bin. Du hast mich nur nicht bemerkt!“
„Aha. Auf den Arm nehmen ist doch nur eine Redewendung. Könntest du jetzt aber bitte vom Schlüsselloch weggehen? Mir ist jetzt echt heiß!“
„Ja, ich gehe ja schon. Aber ich wolle dir sagen, ich helfe gegen das Corona-Virus. Ich möchte den Menschen helfen, dass sie wieder zur Schule können!“
Und ehe ich schauen konnte, war das Männchen auch schon verschwunden.
Ich war echt erstaunt. Die Inzidenz sank so arg, dass wir wieder in die Schule konnten und die Maske sogar abnehmen durften.
Ich hoffe, dass das kleine Männchen uns auch jetzt helfen kann. Hoffentlich ist die Omicron-Variante nicht eine Nummer zu groß für es!
Die Illustrationen sind wie immer von unserer fantastischen Jessica Wald (jessicawald.de).