Fantastische Federreisen – Runde 4 – Ergebnisse
Fantastische Federreise: BACK TO SCHOOL Nr. 4
„Die Freiheit der Fantasie“ – der Name ist Programm
In der vierten Schreibrunde der Fantastischen Federreisen wurden Grenzen durchbrochen und verborgene Mechanismen ausgelöst, um die geheimen Räume des WIGGYs für uns zu entdecken.
Liebe Kathrin, lieber Julius, vielen Dank für euren tiefgründigen Spürsinn und euren unermüdlichen Forschungsdrang, mit dem ihr uns auf diese fantastische Reise ins Ungewisse lockt. Niemals wären wir ohne euch bis zu diesen kostbaren Refugien durchgedrungen…
Viel Freude beim Lesen wünscht euer Federreiseteam Britta Franke und Leni Rothe
Text 1: Die Freiheit der Fantasie (Julius Del Toro Reuter, 7c)
Ich schleppe ihn, Tag für Tag. Die Treppen hoch und runter. Schweißperlen tropfen auf dem Weg ins Klassenzimmer von meiner Stirn. Eine kurze Pause sei mir gegönnt.
Noch wenige Stufen und wir haben es geschafft.
Heute platzt er fast aus allen Nähten, so voll hatte ich ihn heute Morgen gepackt. Auf geht´s, noch einen Ruck! Und Zack – oh, nein, das darf nicht sein!
Platzt sein Reißverschluss und mein Blick fällt auf einen scheinbar großen, weit geöffneten Mund.
In seinem tiefen Schlund stecken Stifte, Hefter, Pausenbrot , ein paar Schnipsel , vertrauliche Kurznachrichten von Sitznachbarn und Bücher aller Art, fest aneinandergepresst, als müsste man ihre Seiten glätten.
Ich zerre fest an den Büchern, um einige in den Sportbeutel zu packen.
Endlich lockert sich mein Deutschbuch. Ich halte es schließlich in der Hand. Sein Einband scheint zu pochen und zu atmen. Doch was geschieht, oh Schreck, das Buch versucht sich aus meinem Händedruck zu befreien.
Fest drücken sich die beiden Buchdeckel gegen meine Hand. Ich öffne sie und das Buch flattert wie ein Schmetterling in die Höhe. Erstaunt und verwundert schaue ich zu ihm auf. Es wirbelt durch die Luft, höher und höher, die Treppen hoch und runter. „Halt! Hiergeblieben!“, rufe ich laut. Ich versuche es zu ergreifen, doch vergeblich. Immer bin ich zu langsam. Ich will es schnappen, will es packen, renne durch das Schulhaus hinter ihm her, von rechts nach links, von oben nach unten, kreuz und quer. „ Stopp, ab in den Beutel mit Dir!“, rufe ich ganz außer Atem hinter ihm her. Schließlich flattert es um mich herum. Ich springe nach ihm und ergreife es. Doch um Himmels Willen, es zieht mich in die Lüfte und schließlich mitten hinein in ein Wandgemälde.
Eine scheinbar endlos lange Straße verläuft mittig durch eine karge, braune Hügellandschaft. Ich nehme die Hitze nicht wahr, da ich den Wind im Gesicht spüre.
Ich halte mich am Buch fest und gemeinsam fliegen wir in Richtung Horizont. Licht und Schattenspiele wechseln sich in der Berglandschaft unter mir ab. Abgesehen davon – kein Leben. Wohin diese Straße nur führen mag?
Am Horizont erstreckt sich das unendliche Meer im leuchtenden Azurblau.
Wir landen sicher am Ufer und am Rande eines kleinen, unscheinbaren Dorfes.
Es besteht aus kleinen Falthäuschen mit kleinen Vorgärten aus gefalteten Bäumchen und Blümchen, alles aus Papier. Auf dem Meer schwimmen unzählig viele kleine Faltboote mit kleinen Männchen, ebenso aus gefaltetem Papier. Sie werfen ihre Netze aus, mit denen sie kräftig zappelnde Buchstaben einfangen und dann mühevoll an Land ziehen.
Vorsichtig lasse ich meine Hand ins Wasser gleiten. Es ist Tinte. Azurblaue Tinte. Mit beiden Händen fange ich das Wasser mit den darin zappelnden Buchstaben ein und entleere es auf der Innenseite des Buchdeckels meines Deutschbuches. Aber was passiert hier? Die Buchstaben bewegen sich zueinander und bilden Wörter.
Ich lese gespannt Wort für Wort: „Die Fantasie blüht und entfaltet sich auch in der Einsamkeit und Ruhe. “ Der Buchdeckel schließt sich und öffnet sich wieder. Das Buch beginnt zu flattern und flink ergreife ich es. Wir erheben uns und treten unseren Rückflug an. Vorbei an den vielen Hügeln, deren Rückseiten liebevoll mit blauer Tinte bemalt und mit Textstücken beschrieben sind, was ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. An manchen Hügeln werkeln kleine Papiermännchen und versehen sie mit den gefischten Buchstaben. Ab und zu bespritzt uns dabei ein kleiner Tintenkleks.
Der Landeanflug aus dem Wandbild auf den harten Boden der Schule ist entsprechend unsanft. Wir purzeln regelrecht aus der Wand. Vorsichtig richte ich mich auf und strecke mich. Mein Deutschbuch liegt neben mir. Ich klemme es unter den Arm, packe meinen Schulranzen und renne ins Klassenzimmer.
Die Deutschstunde hat noch nicht begonnen. Ich lege mein Buch auf den Tisch, klappe den Buchdeckel auf, um den Schriftzug noch einmal zu lesen. Doch an seiner Stelle erscheinen zusätzliche Buchseiten mit unseren Texten zur Federreise während des Lockdowns. Ganz am Ende steht noch einmal in blauer Schrift geschrieben: „Die Fantasie blüht und entfaltet sich auch in der Einsamkeit und Ruhe der eigenen vier Wände.“
Text 2: Aufgezogen (Kathrin Knas, J1)
„Und das soll ein Aufzug sein? Ist das dein Ernst?“ „Jahaa, jetzt mach schon!“ „Nach oben oder nach unten?“ Die Frage triefte vor Sarkasmus. „Wenn du mir nicht glaubst, mach ich es selber.“ Der Schalter zeigte nun auf „unten“. Es tat sich nichts. „Dafür sind wir jetzt in die Schule eingebrochen? Nachts? Was soll das?“ „Komm runter, Mensch, das dauert nun mal einen Moment!“ Der ungläubige Blick sagte alles.
Plötzlich ruckte es. Panische Blicke. Nicht nur der Schalter, die Wand, das ganze Gebäude ächzte und stöhnte. „Wir müssen hier raus!“ „Nein, nein, warte, das soll so!“ „Sicher?“ „Jahaa, glaub mir doch mal!“ Genervtes Augenrollen, zweifelnde Blicke, während im hinteren Teil des Raumes ein Regal unter beängstigender Geräuschkulisse vorschwang. „Ist das nicht etwas klischeehaft?“ Wieder genervtes Augenrollen und Zungenschnalzen. „Komm einfach mit.“
Tatsächlich befand sich hinter dem Regal ein Fahrstuhl, er war offensichtlich sehr alt und kaum noch genutzt. „Das stinkt ja zum Himmel hier drin!“ „Kannst du noch was anderes als motzen?“ „Hier drinnen kann ich nicht mal atmen!“ „Stell dich nicht so an. Ich mache jetzt die Tür zu, dann fährt er nach unten.“ „Wo kommt man da hin?“ „In die Schule, die sie früher war. Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit.“ „Das glaubst du doch wohl selbst nicht!“ „Sieh selbst.“ Die Fahrstuhltür öffnete sich. „Heißt das… wenn wir nach oben fahren…?“ „Ja.“
Die Illustrationen sind wie immer von unserer fantastischen Jessica Wald (jessica.wald.de).