BACK TO SCHOOL – Ergebnisse Fantastische Federreisen 6

Einmal mehr wächst unser ewigtreuer Autor der Fantastischen Federreisen, Julius, übers Menschliche hinaus. Es gelingt ihm, gleich dem „Gott“ der Kinder- und Jugendbuchliteratur, Erich Kästner, einem Stück Holz Leben einzuhauchen. Sprich: aus schnöden Tagebucheinträgen wird eine fantastische Geschichte!

 Viel Freude beim Lesen wünscht euer Federreiseteam

Britta Franke und Leni Rothe

Julius Del Toro Reuter, 7c

Die Stunde der Wahrheit

Wenig rühmlich war unser erster Schultag nach dem zweiten Lockdown. In wenigen Monaten hatten wir uns gleich mehrere Einträge eingehandelt, doch wer konnte schon erahnen, dass alles auf Missverständnissen beruhte?

Diesmal hatte es Mona erwischt. Sie stand wie angewurzelt da und starrte auf den Tagebucheintrag:

„24.02. Mona F. kam heute wenig pietätvoll als riesiger Corona Virus verkleidet in die Schule, mit ihrem Strahlenkranz blieb sie im Türrahmen hängen und musste von den Hausmeistern befreit werden. (RO)“

Ich mochte Mona und hatte Mitleid mit ihr. Sie war eine gutmütige und zugleich gemütliche Person, die keiner Fliege etwas zu Leide tat. Immerzu dachte sie an die Geburtstage der Klassenkameraden und postete bereits kurz nach Mitternacht eine Geburtstagsnachricht, um der erste Gratulant zu sein.

Es war ehrlich gesagt absehbar, dass sie eines Tages ihrer eigenen Gemütlichkeit zum Opfer fallen würde.

Der Lockdown verführte geradezu zum Faulenzen. Mona gehörte nicht zu den Eifrigen, die in der Frühe aus den Federn hüpften und sich an die Arbeit machten. Nein, ganz im Gegenteil, schön bequem meldete sie sich morgens mit einem kurzen, schriftlichen „hallo“ bei den Lehrern, um sich dann erneut aufs Ohr zu legen.

Beim Online-Unterricht erschien sie ausschließlich mit ihrem „treustem Begleiter“, dem Schlafanzug. Wer genau hinschaute, konnte auch noch den Bettzipfel entdecken.

Tagein, tagaus lag Mona im Bett, chattete mit Freunden, schaute Videos und las ab und zu Groschenromane.

Ihren kleinen Bruder schickte sie zum Einkaufen und ließ sich gleich einen ganzen Vorrat an Schokolade und Keksen mitbringen. Diese verspeiste sie auch während des Online-Unterrichts. Auf ihrem Schlafanzug waren schon Spuren von Schokolade sichtbar. Aber er war so kuschelig und weich, dass sie sich keine Sekunde von ihm trennen wollte.

Deshalb verschwendete sie auch keinen Gedanken daran, sich mal umzuziehen. Wozu auch?

Abstand und Isolation standen auf der Tagesordnung.

Die Tage verstrichen bis zur Stunde der Wahrheit. Wir wurden alle zur Schule zitiert, um eine Mathearbeit zu schreiben.

Mit Schrecken stellte Mona fest, dass sie nicht mehr in ihre Kleider hineinpasste. Sie zog an den Strümpfen. Fester und fester. Ratsch… Laufmasche. Die Hose war zu eng und mit Pulli sah sie aus, als ob sie darunter einen Schwimmreif tragen würde. Was war nur mit ihr passiert?

Frühes Aufstehen war zum Fremdwort geworden. Die Zeit war knapp. In ihrer Verzweiflung rannte Mona in den Keller, kramte das alte, giftgrüne Drachenkostüm vom letzten Umzug heraus und zog es an. Der Schwanz ließ sich abknöpfen. Keine Zeit mehr, die Zacken abzuschneiden, hier war außerdem ein Metalldraht eingenäht! Egal, es war immerhin weit genug und man hätte noch hineinwachsen können. Schnell rannte sie zur Bahn, die sie gerade noch erhaschte.

Das Missgeschick geschah, als sie dann ins Klassenzimmer eintreten wollte. Sie passte nicht durch den Türrahmen. Die Zacken verkeilten sich regelrecht in ihm, so dass sie vom Hausmeister gerettet werden musste.

Aber wie sollte sie nur ihr Schicksal erklären? Die lethargische Phase würde ihr auch kein Lehrer entschuldigen. Das war eine aussichtslose Situation. In ihrer Verzweiflung murmelte sie die Worte vor sich hin, die sie immer gelesen hatte:

„Bleib daheim, haben sie gesagt. Mach dir´s daheim gemütlich, haben sie gesagt. Tu Dir was Gutes, haben sie gesagt. Dann kann Dir Corona nichts anhaben! Doch, doch! Unförmig macht es… Wer nicht aufpasst wird zur wenig pietätvollen Kugel!“

 

Ganz anders verhielt es sich am 20.10. mit Helga. Der Tagebucheintrag lautete: „Helga S. versteckte eine Ratte im Pullover, welche in böser Absicht die Deutschklausuren anknabberte. (RO).“

Dazu sei zu sagen: Welcher Schüler träumt nicht von einem lukrativen Nebenerwerb, um sich endlich einen sehnlichen Wunsch zu erfüllen? Natürlich gab es schon einmal die ein oder andere Idee. So verkaufte Oskar an einem abgeschiedenen Ort im Schullandheim Gummibärchen zum Wucherpreis. Aber es musste doch eine dauerhaft lukrative Einnahmequelle geben, dachte sich Henry. Im Schuppen seines Großvaters entdeckte er ein ausgedientes Terrarium.

Er entwickelte vor den Sommerferien das Konzept der Ferienbetreuung für Kleinsäuger. Da er selbst kein Haustier besitzen durfte, war dies eine vortreffliche Alternative: Haustiere, die man wieder abgeben und dabei noch Geld verdienen konnte. Das Geschäft lief an. So beherbergte er die Ratte Anton von Helga und die Ratte Carlos aus der Nachbarschaft.

Der Preis war niedrig, weshalb sie im Terrarium nur in einer Wohngemeinschaft gehalten wurden. Sie beschnupperten sich und schienen sich gut zu verstehen.

Wohl genährt übergab Henry die Tiere nach den Ferien wieder den Besitzern. Niemand konnte jedoch ahnen, dass Ratte Anton eine Antonia war. Kurz und gut, der Nachwuchs kündigte sich an. Helga wollte für den Nachwuchs nicht aufkommen und ein Streit entbrannte. Der Rattenvater sah sich auch nicht in der Pflicht, ebenso wenig Henry.

Schließlich bot man die Ratten zum Verkauf an, aber nur ein Reptilienzüchter meldete sich, um günstig Futtertiere zu erwerben. Das konnten wir den niedlichen Kleinen nicht antun. Ich erbarmte mich, eines der Tiere aufzunehmen.

Da es aber auch bei Helga morgens immer sehr schnell gehen musste, steckte sie die Ratte einfach in die Jackentasche. Während des Deutschunterrichts ließ sie die Ratte heimlich unter ihrem Pulli krabbeln. Diese entwischte aber und knabberte die Deutschklausuren an.

Das war nicht Helgas Absicht gewesen. Sie wollte sich doch nur von den Ratten befreien.

Wir versuchten das Tier einzufangen, aber sie entkam flink durch die Tür. Niemand hatte sie jemals wieder gesehen.

Inzwischen ist schon einige Zeit vergangen, aber es kommt immer noch vor, dass wir Knabberspuren an unseren Klausuren entdecken. Können wir davon ausgehen, dass die Ratte ein neues Zuhause gefunden hat?

Man mag jetzt in der Annahme sein, dass es immer nur die Mädchen sind, die die Einträge kassieren. Dem ist nicht so.

Nachdem wir im Deutschunterricht sehr ausführlich das moderne und antike Feuerwehrauto sowie die Brandschutzkleidung studiert hatten und uns bestens auskannten, nahm Mick das Thema allzu wörtlich. Er erschien in der Brandschutzkleidung seines Vaters, einem Feuerwehrmann. Zugegeben sah er umwerfend damit aus, hätte er nicht noch ganz in seinem Element den Feuerlöscher bedient.  So lautete der Eintrag am 13.12:

Mick F. tauchte in voller Feuerwehrmontur in der Schule auf und löste den Feuerlöscher aus, als seine Mitschüler ihm zum Spaß zuriefen, es brenne (WU).“

Mick hatte sich herausgeredet, dass es sich um einen Entstehungsbrand gehandelt habe. Es sei besser frühzeitig zu handeln, bevor die Wirkungsphase eingetreten wäre.

Wenige Tage später wurden wir in den nächsten Lockdown geschickt. Wir waren in diesem Schuljahr nur drei Monate in der Schule.

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