Words in Your Face – Dichterschlacht am Wiggy
Dichterbiographien und Gedichtanalysen, Epochen und Liebeslyrik, Gryphius und Goethe, Alliterationen, Antithesen und Binnenreime – davon können Zehntklässler ein Lied singen. Doch was tut sich eigentlich im Alltag der Schülerinnen und Schüler in Sachen Lyrik? In welcher Gestalt erscheint ihnen die Poesie 2.0, die Lyrik des 21. Jahrhunderts?
Die Klasse 10c des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Sillenbuch und die 10d des Wiggy hat eine sehr moderne Form der Gegenwartsdichtung in der Form eines Wettstreits live auf die Bühne gebracht. Rap verbindet sich zu Lyrik, Tiefsinniges trifft Blödsinniges, Gereimtes oder Ungereimtes – beim „Poetry Slam“ ist (fast) alles erlaubt. Der Text muss nur aus der eigenen Feder stammen und in einem bestimmten Zeitfenster wortgewaltig performt werden. Auf die Bühne kann jeder, der sich für einen Poeten hält – das Publikum prüft den Dichter und bewertet knallhart.
Um 14:30Uhr begannen die Aufbauarbeiten zu diesem gesellschaftlichen und kulturellen Event im Atrium des Wiggy, den die Klassen im Rahmen eines Unterrichtsprojektes zum großen Teil selbstständig organisiert haben. Zehn Slam-Poeten, fünf aus jeder Schule, traten diesen Freitag gegeneinander an. Das Veranstaltungsformat sieht vor, noch im Laufe des Abends das beste Gedicht bzw. die beste Performance zu ermitteln. Die Jury setzt sich aus dem Publikum zusammen, das, entsprechend der Tradition der mündlichen Dichtung, ein direktes Feedback in der Form von Wäscheklammern abgeben musste, die sie in Schuhkartons legten, welche vor den Poeten bereitgestellt wurden. In zwei Runden, der Vorrunde und dem Finale, wurde der König der Slammer gekürt. Die Hauptrunde setzte sich aus zwei Dreiergruppen und einer Vierergruppe zusammen, aus denen ein Poet, aus der Vierergruppe zwei, ins Finale einzogen. Wer in welche Gruppe kommt, wurde vor der Veranstaltung von den Moderatoren per Losverfahren ermittelt. Jeder Slam-Poet erhielt maximal fünf Minuten, um das Publikum zu begeistern. Hierbei spielten Textinhalt, Text-Performance und Klangbild des Textes eine sehr wichtige Rolle.
Ein besonderes Highlight stellte die Bühnengestaltung dar, die an ein Wohnzimmer erinnerte. Zwei Sofas, Bilderrahmen, Weihnachtsschmuck und so weiter machten einen äußerst gemütlichen und heimeligen Eindruck. Auf dem einen Sofa nahmen die Moderatoren während ihren Pausen statt und auf dem anderen die Poeten. Der ganze Abend wurde von den Schülern mit einem selbst zusammengestellten Musikprogramm untermalt. Aber auch die Verpflegung, der Einlass und die Dekoration des Raumes lagen in Schülerhänden, die einen sehr gelungenen kulturellen Abend gestaltet haben: Hut ab vor dieser Leistung!
Gewinner des Abends war Julius Keinath, der das Publikum in der ersten Runde mit einer ironischen Karikatur verschiedener Lehrertypen überzeugte, der nicht nur bei den Klassenkameraden, sondern auch bei den anwesenden Lehrern sowie beim Schulleiter für einige Lacher sorgte. Im Finale demonstrierte Julius seinen Ärger über die Konsumwut an Weihnachten. In der Form eines bissigen konsum- und gesellschaftskritischen Textes. Die Jury war begeistert. Aber auch die anderen Beiträge sorgten für gute Unterhaltung. Die zum Teil sehr tiefgründigen Texte haben zum Nachdenken angeregt. Insgesamt boten die Darbietungen ein vielfältiges thematisches Spektrum und reichten von romantisch-poetischen Gedichten über ironisch überspitzte Alltagssituationen bis hin zu politisch aufgeladenen Texten gegen Stereotype in der Gesellschaft.
Insgesamt war die Dichterschlacht am Wiggy ein bunter, abwechslungsreicher und sehr gelungener Abend mit mitreißender, tiefsinniger und einfühlsamer Poesie. Das Publikum, die meisten davon waren davor noch nie bei einem Poetry-Slam gewesen, war positiv überrascht vom Veranstaltungsformat und dem literarischen Talent, das in den Schülern bzw. ihren Kindern steckt. Selbst der letzte Literaturmuffel musste an diesem Abend zugeben, dass das Slam-Format cool und einzigartig ist, weil es Literatur lebendig und spürbar macht, indem es diese live auf die Bühne bringt.
Die Schülerinnen und Schüler beider Klassen sprechen schon von einer Revanche am Geschwister-Scholl-Gymnasium. Hier kann nur gehofft werden, dass diese zustande kommt. Allen, die diesen Text gelesen haben, kann ich nur empfehlen dort hinzugehen, denn:
Poetry Slam kann man nicht erklären, Poetry Slam muss man erleben!